Was ist nur mit meinem Bayer los?

Normalerweise hättet ihr längst etwas von mir gehört. Spätestens zwei Tage nach jedem Spiel habe ich in der Regel ein paar mehr oder weniger sinnvolle Sätze zusammen, die ich der Öffentlichkeit zumuten kann. Ich schreibe nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern weil es mir Spaß macht. Nach dem Spiel gegen Mainz aber hatte ich zum ersten Mal seit dem Start von Pillenliebe keine Lust, etwas zu schreiben. Die Zeit hätte ich gehabt, aber sie war mir zu schade, um mir Gedanken über die Werkself zu machen.

Nun ist Pillenliebe nicht der Nabel der Bayer-Welt. Manche werden es vielleicht sogar genossen haben, mal keine subjektiven Eindrücke eines Normalo-Fans lesen zu müssen, der ein paar Wörter geradeaus tippen kann. Nur stelle ich mir die Frage: Vielleicht geht es anderen Fans genauso wie mir?

Seit 18 Jahren dabei

Mir macht der Bayer keinen Spaß mehr. Ja, es ist sogar unangenehm, wenn ich an unseren Verein denke. Vom Wunsch, für mich „die andere Familie“ zu sein, ist Bayer 04 im Moment so weit weg wie noch nie zuvor. Das finde ich schade und erschreckend. Ein bisschen wundere ich mich selbst, dass ich das so fühle. Es gab ja auch in der Vergangenheit bereits schlechte Zeiten. Doch so intensiv wie im Moment habe ich diese Ablehnung noch nie empfunden.

Ich habe das Gefühl, dass mir der Verein aus den Fingern gleitet. Ich kann mich im Moment nicht mit Bayer 04 identifizieren – auf keiner Ebene. Das ist für einen echten Leverkusener wie mich ein Zustand, der unerträglich ist. Fußball ist meine Leidenschaft, Bayer 04 ist meine Liebe. Seit 18 Jahren gehe ich regelmäßig zu den Heimspielen und bin auch mehrmals in der Saison auswärts dabei. Ich selber habe das Kicken beim Bayer gelernt und erinnere mich noch gerne, wie ich am Zaun stand und Rudi Vollborn mit großen Augen beim Torwart-Training zugeschaut habe.

Mein Vater hat mir die Leidenschaft für Bayer 04 quasi vererbt. Heute noch sitze ich neben ihm im Stadion und freue mich über die Gelegenheit, mit meinem alten Herren ein gemeinsames Hobby zu haben. Seit Ende vergangenen Jahres bin ich selber Vater. Wenn der Verein so weitermacht, sitze ich in 20 Jahren nicht mit meinem Sohn auf der Tribüne.

Nicht nur auf dem Platz schlecht

Die Gründe dafür liegen nicht nur auf dem Platz. Ich persönlich brauche keine Champions League, um meinen Verein zu lieben und mich mit ihm zu identifizieren. Mir ist viel wichtiger, dass man die Leidenschaft spürt, das Leben im Verein und den Willen, gemeinsam etwas zu erreichen – wie in einer großen Familie eben. Wenn ich an die letzten Wochen denke, dann spüre ich nichts. Da waren keine Emotionen, keine Leidenschaft, kein Zusammenhalt. Nicht bei den Fans, nicht bei der Mannschaft, nicht bei den Verantwortlichen.

Natürlich hängt vieles mit der sportlichen Situation zusammen. Ohne Frage: Es tut weh, eine so talentierte junge Mannschaft derart desolat über den Platz irren zu sehen. Doch ich finde es zu einfach, alles am Trainer oder der Mannschaft festzumachen.

Auf der Tribüne liefern wir doch seit Wochen mindestens genauso schlechte Leistungen ab. Wir zerfleischen uns selber und nehmen einer kleine Fan-Szene die größte Stärke: Zusammenhalt. Statt der Mannschaft Feuer unterm Hintern zu machen, verhöhnen wir die Jungs und fordern die Entlassung unseres Geschäftsführers.

Es geht längst nicht mehr darum, den Bayer zum Sieg zu schreien. Viele kommen nur noch ins Stadion, um eine Bühne zu haben: für ihre Politik, für ihren Unmut und das, was sie als Leidenschaft für ihren Verein bezeichnen.

Nur noch Kunden

Das ist nicht mehr mein Bayer. Das muss euch jetzt nicht interessieren. Vielleicht geht es euch ganz anders. Dann freue ich mich auf eure netten Kommentare bei Facebook und auf das sicher niveauvolle Feedback.

Wenn es aber anderen genauso geht wie mir, dann sollten beim Verein die Alarmglocken schrillen. Denn dann sind die Tribünen bald noch leerer. In Wuppertal und Solingen finden sich aber sicher noch einige kaufkräftige Kunden, die für volle Kassen sorgen. Und wer weiß: Vielleicht sitzt in ein paar Jahren jemand anders auf meinem Platz, der dann in einem vollen Stadion mit einer Ratsche für Stimmung sorgt.

Dann bin ich aber froh, nicht mehr dabei zu sein. Bis dahin hoffe ich, dass der Verein die Kurve bekommt und nicht vergisst, mich mitzunehmen.

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